Frau werden in einem tabuisierten Körper

Zwischen Scham und Verantwortung. Mit der Pubertät sind viele Veränderungen und erste Erlebnisse verbunden. Für junge Frauen beginnt in dieser Zeit das Frauwerden – das äußerliche Erscheinungsbild ändert sich und auch die Periode wird Teil des neuen Lebens. Das sind alles Entwicklungen, mit denen sich viele Mädchen erstmals nicht ganz wohl fühlen, weil ihnen für diese Veränderung des Körpers Scham vermittelt wird. In der Schule wird gekichert und getuschelt, sobald über Sex, Verhütung und den menschlichen Körper gesprochen wird. Scham, die auch junge Männer empfinden – allerdings ist das Gespräch über all diese Themen in Verbindung mit Frauen weitaus tabuisierter. Esther Brossmann-Handler von der Frauenberatung in Hartberg-Fürstenfeld betont, wie wichtig die Enttabuisierung für das Thema Frauengesundheit ist und wie man Gespräche diesbezüglich führen kann.

Saskia KANCZER / 28. Feber 2024

Jugendliche werden, wenn es um Sexualität und Gesundheit geht, oft sich selbst überlassen. Im Wesentlichen sind Frauen von der Tabuisierung ihres Körpers und ihrer Bedürfnisse stark betroffen.

Während des Unterrichts ist es auf einmal so weit: Ein junges Mädchen bekommt die Regel. Die Schülerin versucht unbemerkt eine Binde aus ihrer Tasche zu holen, zerknüllt sie ganz vorsichtig in ihrer Faust, damit auch keiner mitbekommt, was sie in der Hand hält und versteckt sie so lange, bis sie sich auf der Toilette befindet. So erleben Mädchen meist ihre ersten Momente des Frauwerdens.

Das ist eine Szene aus der Realität der meisten Frauen. Obwohl laut einer Umfrage von „Statista“ mit 14 Jahren viele bereits ihre erste Regelblutung erlebt haben, wird auch später nicht offen mit dem Thema umgegangen. Erst 2021 kam die erste Werbung für Periodenprodukte vom Hersteller Always heraus, wo rote statt blaue Flüssigkeit verwendet wurde, um die Funktion einer Binde zu demonstrieren. Die Darstellung für eine natürliche Körperfunktion der Frau, die nicht realgetreu war und somit vermittelte, dass sie irgendwas verstecken müsste. „Sexualität und Gesundheit sind weiterhin Tabuthemen in unserer Gesellschaft, wovon insbesondere Frauen betroffen sind. Unabhängig vom kulturellen oder familiären Umfeld können viele Frauen oft die einfachsten Dinge, die sie belasten, nicht benennen. Da fehlt oft schon das Vokabular, zusätzlich dazu, dass sie sich nicht trauen, gewisse Anliegen offen auszusprechen“, erläutert Esther Brossmann-Handler von der Frauen- und Mädchenberatung Hartberg-Fürstenfeld. Sie erinnert sich an eine junge Frau, die nicht offen sagen konnte, dass sie ihre Periode hat und insbesondere wie sie sich fühlt, wenn sie diese hat. „Sie hat immer nur gesagt, dass „die rote Tante zu Besuch kommt“. Es hat ein paar Sitzungen gebraucht, bis sie offen sagen konnte, dass sie ihre Regel hat und diese auch mit großen Schmerzen verbunden ist. Sie wurde schlussendlich mit Endometriose diagnostiziert. Es ist eine Krankheit, an der zahlreiche Frauen leiden, aber oft braucht es Jahre, bis es zu einer offiziellen Diagnose kommt. Sie ist vielen aufgrund von Informationsmangel noch unbekannt und das Problem wird häufig nicht ernst genommen“, schildert Brossmann-Handler.

Es wird viel zu wenig geredet. Man muss die Dinge beim Namen nennen.

Als Teenager erleben wir vieles zum ersten Mal – dazu zählt auch Geschlechtsverkehr. Laut einer Umfrage von 2016 (Statista) haben die meisten Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren das erste Mal Sex. Um die eigene Sexualität gesund ausleben zu können, bedarf es der passenden Verhütung. Beleuchtet man das Thema näher, wird schnell klar, dass hier von der Frau, im Gegensatz zum Mann, mehr erwartet wird. Die Auswahl der Verhütungsmittel spricht für sich selbst: Von hormonellen Mitteln wie der Pille oder dem Pflaster werden auch bereits hormonfreie Methoden wie die Spirale oder die Kupferkette angeboten. „Es wird nicht offen über Sex und Verhütung gesprochen, kaum zuhause und anscheinend auch immer weniger in der Schule. Diese früh installierte Hemmung, den eigenen Körper kennenzulernen und über natürliche Vorkommnisse und Bedürfnisse zu sprechen, bringt Gefahren mit sich. Hier verlassen sich Eltern und auch Lehrpersonal eventuell zu sehr darauf, dass sich Jugendliche in unserer digitalisierten Zeit selbst informieren“, erklärt die Frauenberaterin. Dass Jugendliche sich selbst informieren, sei zwar nicht nur negativ, aber im Internet gäbe es viele Inhalte, die übersexualisierte Körperbilder, überromantisierte Beziehungen und somit unrealistische Erwartungen vermitteln können. Es gibt viele Verhütungsmethoden und auch nicht nur positive Erfahrungen mit dem eigenen Körper oder sexuellen Aktivitäten. Deswegen ist laut Brossmann-Handler das offene und vor allem direkte Gespräch so wichtig. „Sich zum Sprechen zu überwinden ist nicht immer einfach, aber es gibt bereits viele Bücher, von Kinderbüchern bis hin zu Erwachsenenliteratur, die dabei helfen können, dieses Eis zu brechen. Es ist auch wichtig, dass man Körperteile benennt. Nicht darum herumreden, sondern sagen: das ist die Scheide, das ist der Penis. Dann haben Kinder auch keine Scham davor, diese Begriffe zu verwenden. Wenn die Konversation vom Eltern- oder Geschwisterteil als selbstverständlich vermittelt wird, fällt es den Jugendlichen auch leichter, die eigenen Probleme zu erkennen und zu erklären. Das ist nicht nur gut für eine bessere Vertrauensbeziehung, sondern auch eine Sicherheitsmaßnahme. Falls einmal etwas passieren sollte, ein Vorfall, der mit psychischer oder körperlicher Gewalt verbunden ist, haben die Betroffenen eine Vertrauensperson direkt zuhause“, betont die Sozialpädagogin. Daher sei es auch so wichtig, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu den Begriffen ihrer Körperteile und ihrer Sexualität zu geben, erklärt Brossmann-Handler: „Jeder Körper funktioniert anders, also muss man jungen Leuten Begriffe zur Verfügung stellen. Das hilft ihnen dabei, zu schildern, wie sie sich fühlen, zu sagen, was sie brauchen, wollen oder auch nicht wollen.“ Das verstehe sich natürlich im gesundheitlichen Sinne, es ginge hier nicht um eine sexualisierte Vermittlung, sondern um Gesundheitsinformationen – wie Auskunft über verschiedenste Verhütungsoptionen, sexuell übertragbare Krankheiten und Abtreibungen. „Sexualkunde in den Unterricht in höheren Schulen einzubauen, wo die Jugendlichen sexuell aktiv werden, wäre ein guter Ansatz, um ihnen leichten Zugang zu biologisch basierten Inhalten zu vermitteln. Zum Beispiel nicht nur, dass es Krankheiten gibt, sondern welche, wie man diese bekommen kann, was diese auslösen und wie man dagegen vorgeht“, so die Sozialpädagogin. 

Ein zusätzliches Problem, das den Bedarf nach offenen Gesprächen miteinander verstärkt, ist der massive Rückgang an Frauenärztinnen und -ärzten. „Das gesamte Unterstützungsnetzwerk für Frauen wird derzeit immer schwächer. Viele Frauen aller Altersgruppen kommen nicht einmal zu ihrer jährlichen Vorsorgeuntersuchung, die für die Krebsprävention und allgemeine Gesundheit sehr wichtig ist. Die Frau, die nicht sagen konnte, dass sie eine abnormal schmerzhafte Periode erlebt, hätte wahrscheinlich viel früher ihre Diagnose für Endometriose bekommen können, wenn zuhause mit ihr darüber gesprochen worden wäre. Der Schmerz wurde hingenommen, da er angeblich dazugehört. Hier müssen Frauen auch ermutigt werden, darauf zu bestehen, richtig behandelt zu werden“, betont die Sozialpädagogin.

Auf einer Seite wird über viele Dinge nicht geredet und auf der anderen Seite ist die Erwartung da, dass die Verantwortung für Schwangerschaftsprävention von Frauen getragen wird. „Selbst wenn Jugendliche die Eigeninitiative ergreifen und recherchieren, ist es gar nicht so einfach, relevante Infos zu bekommen. Was passiert beispielsweise beim Einsetzen der Spirale, oder welche erlebten Symptome hängen tatsächlich mit der Einnahme der Pille zusammen? Deswegen kann ich nur immer wieder hervorheben, wie wichtig es ist, dass man hier den Schritt geht und das persönliche Gespräch mit dem eigenen Kind sucht, um realistische Zugänge zur Periode, Verhütung und einvernehmlichen Sex zu bieten“, fasst Esther Brossmann-Handler zusammen.

In einer Gesellschaft, wo all diese Ansätze bereits umgesetzt wären, könnten junge Mädchen vielleicht ohne darüber nachzudenken ihre Binde aus der Tasche holen und auf die Toilette gehen. Oder gar, wie es teilweise schon vorhanden ist, auf der Schultoilette kostenlosen Zugang zu Periodenartikeln haben, da es nichts ist, wofür man sich schämen muss.

„Nicht die Regel“ ein Dokumentarfilm 
mit anschließender Podiumsdiskussion

Eintritt frei, um Anmeldung wird gebeten
Wann: 11. März 2024 um 18:00 Uhr
Wo: Maxoom, Ökopark Hartberg, 
Am Ökopark 10, 8230 Hartberg
Nähere Infos unter
www.frauenberatung-hf.at und hier >> Artikel


FMB – Frauen- und Mädchenberatung Hartberg-Fürstenfeld
Rotkreuzplatz 1, 1.Stock, 8230 Hartberg 
Telefon: 03332 6286,
E-Mail: office@frauenberatung-hf.at
www.frauenberatung-hf.at


Weitere Beratungseinrichtungen:


Frauengesundheitszentrum Graz
www.frauengesundheitszentrum.eu


Frauenberatung Oberwart (Verein)
frauenberatung-burgenland.at

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