51 Tonnen Kriegsmunition unter unseren Füßen

Vor 35 Jahren fiel der Eiserne Vorhang. Es war der Anfang vom Ende des Kalten Krieges. In der Hochphase verlegte Ungarn zwei Mal einen Minengürtel zur österreichischen Grenze. Österreich gilt als entmint, aber nach wie vor werden Kriegsrelikte aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gefunden und vom Entminungsdienst des Bundesheeres entsorgt. Allein im Vorjahr waren es 51 Tonnen. Es sind Handgranaten, Streumunition, Bomben etc., die seit Jahrzehnten unter unseren Füßen verrotten. Erst vor wenigen Wochen wurde bei Grabungsarbeiten im Bezirk Gänserndorf in Niederösterreich eine deutsche Fliegerbombe gefunden. 200 Haushalte mussten evakuiert werden. Diese unmittelbaren Ereignisse werfen die Frage auf, wie Menschen in aktuellen Kriegsgebieten wie der Ukraine mit dieser Bedrohung umgehen. Barbara Kopf von der Hilfsorganisation Gemeinsam gegen Landminen (GGL) beleuchtet die komplexen Bemühungen zur Minenräumung. Die Arbeit ist gefährlich, kostspielig und nie ganz abgeschlossen.

Nicole MÜHL / 29. Mai 2024

Die Mitarbeiter des Entminungsdienstes des Bundesheeres (EMD) sind Experten für alle Arten von Munition, die aus der Zeit vor 1955 stammt und auf österreichischem Bundesgebiet aufgefunden wird. Im vergangenen Jahr stand der EMD 1.075 Mal im Einsatz, um Kriegsrelikte in Österreich zu bergen, abzutransportieren und zu vernichten. Dies passiert am Truppenübungsplatz Allentsteig.

Heuer jährt sich der Fall des Eisernen Vorhangs zum 35sten Mal. Dieses historische Ereignis ist vielen noch in Erinnerung. Die Grenze auf ungarischer Seite war bis 1965 vermint. Auf 350 Kilometer wurden rund 800.000 Minen verlegt. Es heißt durch Regenfälle seien auch welche ins Burgenland gespült worden?

Barbara Kopf: Es gab ja zwei Minengürtel. Der erste wurde 1948 auf ungarischer Seite verlegt und diese Minen waren in einer Art Holzbauweise hergestellt, die verwitterungsanfällig war. Sie sind dadurch extrem gefährlich gewesen. Es gab tatsächlich auch mehrmals Vorfälle, bei denen diese Minen auf österreichisches Gebiet gespült wurden und hier explodiert sind. Es kam dann zu einem Beschluss der ungarischen Regierung zur Entminung und das ermöglichte auch die Fluchtbewegung im Jahr 1956.

Allein bei der Entminung des ersten Gürtels sind zwei Menschen gestorben und über 40 wurden verletzt. Der zweite Minengürtel wurde dann nach der Fluchtbewegung 1957 verlegt. Es kamen dabei andere Minen in Metall- bzw. Plastikbauweise zum Einsatz.

Diese 800.000 Tretminen, die 1957 verlegt wurden, wurden 1965 wieder abgebaut. Sind alle entfernt?

Für Minenfelder wie jenes am Eisernen Vorhang werden in der Regel Verlegepläne erstellt, welche später eine rasche und sichere Minenräumung ermöglichen sollen. Ich gehe davon aus, dass solche existierten.

Wie passiert eine Entminung?

Das ist abhängig von den örtlichen Gegebenheiten. In Trümmerfeldern oder bei dichter Vegetation wird z. B. mit Minensuchgeräten oder Minensuchhunden gearbeitet. Diese sind auf das Aufspüren von Sprengstoff trainiert. Zentimeter für Zentimeter wird der Boden nach Gefahrenquellen abgesucht. Auf freiem Gelände kann z. B. ein Minendrescher die Arbeit beschleunigen. Das sind massiv gebaute Fahrzeuge, die vorne eine rotierende Walze mit vielen Hämmern an Ketten montiert haben. Diese schlagen auf den Boden und lösen so Minen aus.

Zur Erklärung: Was bedeutet humanitäre Entminung?

Humanitäre Entminung heißt, dass man ein ganzes Gebiet für die Zivilbevölkerung frei macht, damit es wieder bewohnbar wird. Im Gegensatz dazu wird bei der militärischen Entminung oft nur ein Korridor entmint, um eine Kriegshandlung zu setzen. Also etwa damit das Militär vorrücken kann. Links und rechts von diesem Korridor sind weiterhin Minen. Humanitäre Minenräumung setzt darauf, dass die Minen, die gefunden werden, restlos zerstört werden und auch alle Munitionsreste und das Kriegsmaterial. In Österreich werden jährlich Tonnen an Kriegsmaterial aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gefunden und am Truppenübungsplatz Allentsteig kontrolliert gesprengt. Da reden wir nicht von Minen, sondern es geht um Fliegerbomben, Granaten und Streumunition – diese können so gefährlich wie eine Landmine sein. 

Wie viel von solcher Munition gibt es noch?

In Österreich gibt es den Entminungsdienst des Bundesheeres. Der hatte im Vorjahr 1.075 Einsätze. Insgesamt wurden 51 Tonnen an Handgranaten, Fliegerbomben und Munition entsorgt. Die Munition wird in eigenen Hochöfen vernichtet. Es kann auch heute noch zu Detonationen von Kriegsmitteln des Ersten und Zweiten Weltkrieges kommen. Dementsprechend kann man sich vorstellen, dass es eine Mammutaufgabe ist, die Ukraine wieder sicher zu machen. 

Gibt es auch Einsätze im Burgenland und der Steiermark?

Am meisten wird in Niederösterreich und rund um Wien gefunden. So können in den früheren Einflugschneisen der Bomber vereinzelt Fliegerbomben im Erdreich liegen. 480 Einsätze und 14 Tonnen waren es in Niederösterreich im Jahr 2023. 

Im Burgenland wurden 780 Kilo Kriegsmaterial bei 75 Einsätze beseitigt. In der Steiermark waren es 23,2 Tonnen bei 155 Einsätzen.

Wie verhält man sich richtig, wenn man glaubt, auf ein Kriegsrelikt gestoßen zu sein?

Metallgegenstände keinesfalls angreifen. Sicherstellen, dass niemand dem Fund zu nahe kommt und umgehend die nächste Polizeidienststelle informieren.

Kommen wir auf Länder zu sprechen, wo Minen eine akute Bedrohung darstellen. Eine sehr prominente Botschafterin für die Beseitigung von Landminen war Lady Diana. Das Bild, als sie durch ein geräumtes Minenfeld in Angola marschierte, ging um die Welt. Ihr Engagement trug dazu bei, das Bewusstsein für die Problematik von Landminen zu schärfen. Fehlt das heute?

Bekannte Persönlichkeiten können ungemein helfen und ja, das fehlt uns. Lady Diana hat sicherlich entscheidend dazu beigetragen, dass viele Staaten rasch der Ottawa-Konvention, dem internationalen Minenverbotsvertrag, beigetreten sind. Dieser ist 1999 in Kraft getreten, nachdem 40 Länder den Vertrag ratifiziert hatten. Sie haben sich verpflichtet, die eigenen Bestände an Landminen zu zerstören. Das ist sehr kostspielig und ein Grund, warum sich der Beitritt mancher Länder verzögerte. Man verpflichtet sich auch, Gebiete in einer bestimmten Zeit zu entminen. 164 Staaten sind inzwischen beigetreten. Unter anderem auch Palästina. 

Russland, Nordkorea, China, Myanmar sind leider nicht dabei. Die USA ist auch nicht beigetreten, hält sich aber in vielen Bereichen an die Konvention.

Was kostet es, eine Mine zu entschärfen?

Eine Mine herzustellen, kostet zwischen drei und sechs US-Dollar. Um sie zu entfernen benötigt man zwischen 1.000 und 5.000 US-Dollar.  So ist es in einem Haus viel komplizierter und zeitaufwendiger, Sprengfallen zu finden. Im Irak weiß man, dass der IS vor dem Rückzug Häuser vermint hat, um Angst zu verbreiten und im schlimmsten Fall die Leute, die zurückkommen, getötet werden. 

Die Russen haben in der Ukraine rund um Infrastrukturen Minen gelegt. In der Ukraine sind Menschen durch Streumunition extrem gefährdet. Überall kann eine Sprengfalle liegen.

Gemeinsam gegen Landminen – GGL ist weltweit tätig. Wie viele Menschen sind durch Landminen gefährdet?

Man schätzt, dass zumindest 60 Millionen Menschen in verminten Gebieten leben. Das ist ein traumatischer Zustand. Die Menschen sind sich dessen bewusst. Sie haben ständig Angst. Die Ukraine ist derzeit am stärksten betroffen. Aber auch Afghanistan, Myanmar und Syrien.

Österreich hat Gelder für die Entminung der Ukraine zur Verfügung gestellt. Wie wichtig ist diese Hilfestellung?

Die Bemühungen zur Entminung sind entscheidend, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, die humanitäre Situation in der Ukraine zu verbessern und Gebiete wieder bewohnbar zu machen. In der Ukraine wurde beispielsweise Streumunition eingesetzt, die wie Schmetterlinge aussieht – eine enorme Gefahr für Kinder. Es wird Jahrzehnte dauern, bis die Ukraine wieder sicher ist. Allein in Österreich sieht man, wie viele Kriegsrelikte aus einem Krieg, der vor knapp 110 Jahren bzw. vor knapp 80 Jahren stattfand noch unter unseren Füßen schlummern. Wie extrem muss es da in aktuellen Kriegsgebieten sein!

Zwei Männer die eine Bombe mit beiden Händen halten.
©Bundesheer/Laura Heinschink

Vernichtungssprengen von Weltkriegsmunition durch den EMD am Truppenübungsplatz Allentsteig

Auf diesem Bild sieht man eine fFrau von der FSD Irak Minenräumung. Sie entschärft eine Mine. Die Frau trägt eine braune Schutzkleidung.
©GGL, FSD

Eine Entminerin des FSD im Irak untersucht das Erdreich mit einer Minensuchnadel. Gemeinsam mit dem Projektpartner FSD unterstützt GGL die Entminung im Irak. Diese ist eine große Herausforderung, da man es hier auch mit allerlei selbstgebauten Sprengkörpern des IS zu tun hat.    

Auf diesem Bild sieht man Barbara Kopf. Sie lächelt und trägt ein weißes Shirt. Sie hat kurze braune Haare.
©Ludwig Schedl
Gemeinsam gegen Landminen (GGL)

Gemeinsam gegen Landminen (GGL) ist eine spendenfinanzierte, gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die sich seit 2002 der Minenräumung, der Unfallprävention und der Minenopferhilfe in Ländern widmet, in denen Landminen eine Bedrohung darstellen. 2024 finanziert GGL Projekte in Afghanistan, Myanmar und der Ukraine und arbeitet dabei in Kooperation mit nationalen und internationalen Partnern. Die Tätigkeiten umfassen die Unterstützung von Minenräumungsaktionen, die Finanzierung der Kennzeichnung von Minenfeldern und die direkte Hilfe für Opfer. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Schulungen zum Minenrisiko, die das Bewusstsein für die Gefahren von Landminen erhöhen und Präventionsstrategien vermitteln sollen. Diese Schulungsmaßnahmen richten sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene und senken nachweislich die Opferzahlen. Ziel der Arbeit in Österreich ist die Sensibilisierung und Aufklärung der Öffentlichkeit über die Minenproblematik. GGL Austria ist Mitglied der Internationalen Kampagne gegen Landminen (ICBL), Friedensnobelpreisträger von 1997, und Träger des Österreichischen Spendengütesiegels. www.landmine.at

Foto: Mag. Barbara Kopf ist Geschäftsführerin & Mitglied des Vorstands

Vernichtungssprengen von Weltkriegsmunition durch den EMD am Truppenübungsplatz Allentsteig

Fotos © Bundesheer/Laura Heinschink

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