Nicole MÜHL / 30. Oktober 2024
© Nicole Matsch
AK Bgld-Präsident Gerhard Michalitsch im prima! Interview.
Herr Präsident, gehen Sie gerne arbeiten?
Arbeiterkammer Burgenland-Präsident Gerhard Michalitsch: Ja, sehr gern, zum Leidwesen meiner Frau, weil es natürlich ganz, ganz viele Abend- und Wochenendtermine gibt.
Ich frage Sie das deshalb, weil die Arbeiterkammer auch heuer wieder auf ihren Social-Media-Kanälen darüber informiert, wie man viel frei bekommt mit wenig Urlaubstagen. Also, wie man am besten Fenstertage nutzt. Ist es nicht so, dass man mit solchen Mitteilungen den Wert der Arbeit heruntermacht oder eine Haltung vermittelt, dass Arbeit negativ besetzt ist?
Nein, das sehe ich nicht so. Wenn eine Arbeit stark belastet, dann braucht es auch einen Ausgleich – dann braucht es Freizeit- und Ruhephasen. Wer hart arbeitet, der muss auch die Möglichkeit haben, sich zu regenerieren und die AK gibt einen Tipp, wie man genügend Raum für die Regeneration schaffen kann.
Die Teilzeitquote ist in den letzten Jahren gestiegen und Österreich hat eine der höchsten innerhalb der EU. Stellen Sie auch fest, dass die Menschen mittlerweile lieber in Teilzeit arbeiten, weil die Motivation zur Arbeit gesunken ist?
Nein, sicher nicht. Ich sehe beide Teile. Wenn ich in den Betrieben unterwegs bin, sehe ich ganz viele Menschen, die hoch motiviert sind und Vollzeit arbeiten, weil sie das Gefühl haben, sich mit ihrer Handarbeit oder mit ihrer Kopfarbeit etwas schaffen zu können. Das ist der eine Teil. Ich sehe aber auch bewusste, jüngere Menschen, die sagen, dass sie am Ende ihres Arbeitslebens nicht so krank gearbeitet sein möchten, dass sie dann nichts mehr vom Leben haben. Also, ich denke, das kann man nicht schwarz-weiß sehen. Wir haben unterschiedliche Haltungen in der Gesellschaft und im Arbeitsleben.
Reden wir über eine 4-Tage-Woche, 32-Stunden-Woche und das bei vollem Gehalt.
32 Stunden habe ich noch nie gefordert.
Wieviel würden Sie fordern?
Das ist so nicht generalisierbar. Bei einem Betriebsbesuch in einer Putzerei erzählten mir die Frauen, dass sie eine 4-Tage-Woche bei 32-Stunden Vollzeit haben, weil es eine anstrengende Arbeit ist und sie mehr als 32 Stunden nicht durchhalten. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Dort, wo eine Arbeit belastend ist – auch im Bereich der Pflege oder Ähnlichem – dort müssen wir über Arbeitszeitmodelle nachdenken, damit die Menschen gesund ihren Job weitermachen.
In der Pflege verbleiben die Ausgebildeten im Schnitt sechs Jahre. Wir investieren dort zwei, drei Jahre in die Ausbildung und dann ist die Belastung so stark, dass sie nur sechs Jahre bleiben. Das ist auch wirtschaftlich unsinnig.
Sie würden also Arbeitszeitmodelle nach Branchen abstufen?
Natürlich. Also wenn mir einer sagt, 32-Stunden-Woche geht nicht, ist das ein Blödsinn. Ich sehe es ja bei meinen Betriebsbesuchen. Aber umgekehrt bin ich keiner, der sagt, dass wir unbedingt eine 32-Stunden-Woche über alles hinweg brauchen. Wir sehen es ja auch jetzt schon, dass in ganz vielen Kollektivverträgen die 40-Stunden-Woche keine Rolle mehr spielt. Und bei jenen Branchen, die nicht durch einen Kollektivvertrag zu einer Arbeitszeitverkürzung kommen, muss man diese mit einem Gesetz nachholen.
Wie sind bei Ihnen in der AK die Arbeitszeiten? Haben Sie schon nachgezogen?
Wir schauen uns immer alle Branchen an, egal ob das die Entlohnung ist, ob das die Arbeitszeit ist etc. und versuchen uns irgendwo in der Mitte zu bewegen, um auch zu zeigen, dass wir etwas tun.
Also gibt es bei Ihnen die 32-Stunden-Woche?
Nein, aber wir sind auch nicht mehr bei der 40-Stunden-Woche. Also wir sind gut mittendrin. Das ist auch unsere Grundhaltung.
Aber ganz ehrlich, hat man nicht, wenn man die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bzw. Arbeitszeitverkürzung stellt, eine Vorbildwirkung, indem man diese selbst umsetzt?
Wir haben das schon oft diskutiert, auch mit den Betriebsräten. Aber wir haben wirklich die Herausforderung, nämlich umgekehrt dann nicht angreifbar zu sein, weil wir ja Pflichtbeiträge haben und der Vorwurf kommen könnte, dass wir nur mehr 32 Stunden arbeiten. Das geht nicht. Wir können nicht sagen, wir zahlen alle unsere Mitarbeiter über den Durchschnitt, aber lassen sie unterm Durchschnitt arbeiten. Das würde nicht akzeptiert werden. Da muss man sensibel sein und außerdem muss man es sich auch leisten können.
Aber es ist Ihnen schon bewusst, dass es Unternehmerinnen und Unternehmern sauer aufstößt, wenn auf der einen Seite die Forderung an sie gestellt wird und auf der anderen Seite wird es von den Vertretern selbst nicht in vollem Ausmaß umgesetzt.
Ja, das ist eine Herausforderung. Aber nochmals – das ist mir wichtig zu wiederholen: Wenn es um die Arbeitszeit geht, dann müssen wir darauf schauen, wie belastend die Arbeit ist und wo es eine Arbeitszeitgestaltung braucht – und da gehört die Arbeitszeit dazu, aber auch die Aufteilung wie beispielsweise auf vier Tage. Aber wichtig ist mir die Botschaft: Wir müssen differenzierter hinschauen und dementsprechend die Arbeitszeiten anpassen über Kollektivverträge und auch die nachholen, die keine Vertretung haben.
Wie sollen Unternehmen eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich finanziell bewältigen? Weniger Lohnnebenkosten ist für Sie nicht die Lösung. Sie fordern die Reform des Steuersystems.
Die Diskussion ist ja, den Faktor Arbeit günstiger zu machen, damit wir wettbewerbsfähiger gegenüber anderen Ländern sind. Ja, wir können schon auch über die Entlastung des Faktors Arbeit reden. Müssen wir sogar, weil sich die Wirtschaft verändert. 40 Prozent der Wirtschaftsleistung in Österreich werden nicht mehr durch Menschen generiert, aber die Steuern und die Sozialversicherungsbeiträge werden nur auf die Arbeit der Menschen gerechnet. Aber es müssen endlich auch die, die ohne Menschen Umsätze und Gewinne machen, anfangen, ebenfalls ins Steuersystem und ins Sozialversicherungssystem einzubezahlen. Da ist die Politik massiv gefordert, sich was einfallen zu lassen, wie man aus diesen Wirtschaftsbereichen einen Beitrag zur Erhaltung unseres Systems bekommt. Steuerlich wie auch in der Sozialversicherung. Und wenn wir das schaffen, dann wäre es natürlich klug, die Betriebe, die mit vielen Menschen produzieren, zu entlasten.
Und wie?
Mein Ansatz ist über die Lohnsteuer und nicht über die Sozialversicherung, weil hinter den Sozialversicherungsabgaben wichtige Leistungen stecken. Das heißt, wenn wir einen Pensionsversicherungsbeitrag zahlen, dann steckt dahinter, dass wir eine Pension kriegen. Kürzen wir, gibt es niedrigere Pensionen. Da steckt auch der Krankenversicherungsbeitrag dahinter. Haben wir weniger Geld in der Krankenversicherung, haben wir eine schlechtere Gesundheitsversorgung. Wenn wir bei der Arbeitslosenversicherung kürzen, werden die, die arbeitslos werden, entweder ein geringeres Arbeitslosengeld haben oder wir haben weniger Geld für eine aktive Arbeitsmarktpolitik – also um Arbeitslose wieder in die Arbeit zu bringen. Wir können nicht dafür sein, dass wir niedrigere Pensionen haben, eine schlechtere Gesundheitsversorgung oder eine schlechtere Versorgung in der Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Aus diesem Grund wäre der Lösungsansatz über die Steuer, indem man von diesen Betrieben, die mit wenig oder mit gar keinen Menschen Umsätze und Gewinne machen, Steuern einhebt und im gleichen Ausmaß auf der Vis-à-vis-Seite die Steuern senkt. Wir müssen einfach kapieren, dass sich die Wirtschaft verändert und wir müssen unser Steuersystem anpassen. Da geht‘s um Fairness.
„Wir müssen einfach kapieren, dass sich die Wirtschaft verändert und wir müssen unser Steuersystem anpassen .“
– AK Burgenland-Präsident Gerhard Michalitsch
Auch die Erbschaftssteuer ist für Sie ein Thema.
Ja, das ist natürlich ebenfalls eine Möglichkeit. Wir reden hier nicht von denen, die ein Einfamilienhaus etc. erben. Es geht um große Erbschaften. Dort muss man hinschauen.
Die Creditreform hat bei einer KMU-Umfrage in Österreich im ersten Halbjahr veröffentlicht, dass 25 Prozent der Unternehmerinnen und Unternehmer Personal abbauen wollen. Die Ertragslage ist bei mehr als der Hälfte der Unternehmen gesunken. Sind die burgenländischen Betriebe nicht in einer noch schwierigeren Situation durch die Mindestlohnvorgabe von 2.000 bzw. 2.200 Euro netto in den Landesbetrieben?
Nein. Der Mindestlohn, über den diskutiert wird, ist ein Mindestlohn, den das Land Burgenland für Beschäftigte in den Landesbetrieben beschlossen hat.
Aber das sind mittlerweile schon über 90 Gesellschaften. Also kann man sich vorstellen, dass es viele Beschäftigte betrifft.
Ja, aber wir haben laut WK-Statistik rund 21.000 privat geführte Unternehmen im Burgenland. Also sind die Landesbetriebe noch nicht die Mehrheit. Das heißt, für die überwiegende Mehrheit sind Kollektivverträge zuständig. Und dort gibt es auch einen Mindestlohn – nämlich die unterste Lohngruppe, die dort drinnen steht. Das heißt, einen Mindestlohn haben wir seit Jahrzehnten, seit es Kollektivverträge gibt.
Aber diese sind anders angesetzt. Das Land Burgenland hat da ganz andere Maßstäbe gesetzt und private Unternehmen sind gefordert nachzuziehen, wenn sie nicht Mitarbeiter an die Landesbetriebe verlieren wollen, wo bereits Einstiegspositionen und Tätigkeiten ohne formale Berufsausbildung 2.000 bzw. 2.200 Euro netto bekommen.
Auch das muss man differenziert sehen. Um es zynisch zu sagen, wenn Sie einen Arbeitnehmervertreter fragen, ob er ein Problem hat, wenn es eine gescheite Bezahlung gibt, dann ist die Antwort ganz klar: nein. Als Arbeitnehmervertreter muss ich jeder Initiative – egal, ob das im Kollektivvertrag geregelt ist oder vom Land oder sonst wo kommt – dankbar sein, wenn dadurch Löhne entstehen, die es den Menschen ermöglichen, sich ihr Leben gut gestalten zu können. Das heißt, wir brauchen einen bestimmten Lohn. Und ich kann mit 1.300 Euro bei einer Miete von 700 Euro nicht auskommen.
Das steht sicherlich außer Frage. Aber gerade die Kleinunternehmen haben ja meist einen sehr engen Bezug zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und würden gerne mehr Gehalt zahlen. Nur das geht eben nicht, weil bei vielen Betrieben – wie gesagt laut Creditreform – die Ertragslage gesunken ist, aber nun mehr Lohn gefordert wird, es jedoch keine Entlastungen gibt. Es kann ja auch nicht zielführend sein, dass dann Personal abgebaut wird.
Wenn ich in den Betrieben bin, zeigt sich ein anderes Bild. Man muss wissen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Burgenland arbeiten, im Durchschnitt am schlechtesten von ganz Österreich verdienen. Ich habe überhaupt kein Problem, dass die, die im Burgenland wohnen und arbeiten, endlich so viel verdienen wie jene ein paar Meter weiter über der Grenze in Niederösterreich. Warum soll ein Werkzeugmacher im Oberpullendorfer Bezirk weniger verdienen wie ein Werkzeugmacher in Wiener Neustadt?
Es geht bei dieser Diskussion ja eher weniger um das Gehalt von Facharbeitern als um jenes von Berufsgruppen ohne formale Berufsausbildung bzw. um Einstiegspositionen, weil es für viele Unternehmen nicht finanzierbar ist, sich hier dem Landesgehaltsschema anzupassen. Da tut sich schon eine Schere auf.
Es geht um den Wert der Arbeit. Was ist es mir wert, wenn ich eine Reinigungskollegin habe – es sind in der Regel Frauen – die die WCs putzen? Was ist uns die Arbeit wert als Gesellschaft? Und ich denke, es gibt Bereiche, die sind unterbezahlt. Punkt. Fertig. Die sind in unserer Gesellschaft nicht hoch genug bewertet. Jeder soll, wenn er Vollzeit arbeitet, mit seiner Händearbeit oder Kopfarbeit so viel verdienen, dass er alleine sein Leben gestalten kann. Ohne Zuschüsse, ohne Förderungen. Das muss das Ziel sein. Wenn da der Druck steigt, macht mir das auch nichts.
Aber sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der letzten Lohnerhöhung, die zum Teil bei rund zehn Prozent lag, und einer Reduzierung des Personalstandes?
Ob Personal reduziert wird oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Einer der wichtigsten ist die Auftragslage. Alle, die genügend Aufträge haben, finden einen Weg, diese Lohnerhöhung umzulegen. Punkt. Die, die nicht viele Aufträge haben, tun sich natürlich schwerer damit. Aber es hat noch keine Lohnerhöhung in den letzten 50 Jahren dazu geführt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgebaut worden sind. Diesen direkten Zusammenhang gibt es nicht. Hohe Lohnerhöhungen heißt nicht gleich Personalabbau. Es sind ganz, ganz viele andere Faktoren mitentscheidend.
Die AK-Wahlen im Burgenland fanden im April 2024 statt. Wo sehen Sie sich in der neuen Periode am meisten gefordert?
Das eine ist, unsere Organisation, unsere Struktur gut auszubauen, klimafit zu machen. Wir haben auch die Herausforderung, dass ein Viertel unserer Mitglieder Pendlerinnen und Pendler aus Ungarn sind. Das bedeutet, Angebote zu schaffen, um diese Mitglieder auch gut vertreten zu können. Da geht es eher um muttersprachliche Beratung und ähnliches. Aber es geht auch um andere Dinge, wie Ausbau unserer Serviceleistung und Unterstützung – wie etwa unseren Insolvenz-Soforthilfe-Fonds, den wir vor drei Jahren eingeführt haben.
Was größere Themen sind, auf die man immer schauen muss, ist, wie wir genügend Fachkräfte in der Wirtschaft haben können. Da geht es etwa um die Ausbildung von Fachkräften. Dieses Thema wird immer ein großes sein.
Und wir werden in den nächsten Monaten die Herausforderung haben, dass die Energiepreise sinken, aber die Rechnungen nicht kleiner werden, weil alle Energieversorger die Netze immens ausbauen müssen und auf einmal die Netzpreise steigen werden. Da geht es dann ganz stark darum, wer den Ausbau der Netze bezahlt. Da werden wir dran bleiben, dass nicht nur die Endkunden wieder die ganze Zeche zahlen.
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