„Diplomatie ist aus der Mode gekommen“

Europa kippt nach rechts. So lautet der Befund vieler politischer Beobachter nach den EU-Wahlen. In Ländern wie Polen oder Ungarn gerät der Rechtsstaat in Gefahr, die Migrationspolitik spaltet die Europäische Union, zu Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten ringt man vergeblich um klare Positionen, der Green Deal gerät ins Stottern, die Wirtschaft fürchtet erdrückende Konkurrenz aus China. Und im kleinen neutralen Österreich streitet man nach dem Wirbel um die Abstimmung zum Renaturierungsgesetz darüber, wer als EU-Kommissar*in nach Brüssel entsandt wird. Wie steht es um Europa in einem von Krisen – und zunehmender Hitze – erschütterten Weltklima? Dazu stand der erfahrene Oberwarter Diplomat Dr. Klaus Wölfer im Gespräch mit prima! Rede und Antwort.

Walter REISS / 3. Juli 2024

Diplomat Dr. Klaus Wölfer

Europa drohe zu zerbrechen, wenn Politiker weiterhin fast nur national denken, anstatt global zu handeln, meint etwa der Schriftsteller Robert Menasse. Steckt das auch wirtschaftspolitisch hochgelobte, aber mit immer mehr Skepsis konfrontierte Friedensprojekt Europa nun wirklich in Schwierigkeiten?

Klaus Wölfer: Vieles spricht tatsächlich für eine multiple Krise: Die grüne Wende und die enormen wirtschaftspolitischen Herausforderungen durch das Verhältnis zu den USA und China. Allerdings brauchen wir sowohl die USA als auch China. 

Russlands Überfall auf die Ukraine stellt die EU, aber auch die NATO durch die Unterstützung der Ukraine auf eine harte Probe. Gibt es für das Europa der 27 noch einen Ausweg aus diesem Konflikt?

Klaus Wölfer: Die NATO ist ja schon tief in den Konflikt hineingezogen worden. Mit der EU passiert das schleichend. Österreich versucht, irgendwie eigene Wege zu gehen. Aber das Schicksal der Ukraine wird nicht in erster Linie in Europa bestimmt, sondern in Washington. Und da zeigt sich, dass die Aufmerksamkeit der USA stärker auf die Konfrontation mit China gerichtet ist und letztlich weniger auf den in Gaza ausgebrochenen Krieg oder die Ukraine.

Trump könnte überraschen

Sollte Donald Trump wieder Präsident der USA werden: Was ist von ihm zu erwarten?

Klaus Wölfer: Diesfalls ist mit einer noch härteren Chinapolitik zu rechnen und die könnte tatsächlich gefährlich für Europa werden. In Sachen Ukraine ist Trump schwer einzuschätzen. Seine Politik und Diplomatie sind impulsiv und unkonventionell. Manche halten es für möglich, dass er Richtung Russland die Hand ausstreckt und eine rasche Lösung anstrebt. Das wäre für Trump dann eine Erleichterung angesichts der Konfliktherde in Fernost und Gaza.  

Trump bleibt also höchst unberechenbar?

Klaus Wölfer: Sagen wir es so: Er ist für Überraschungen gut. Aber wir sollten uns davor hüten, Außenpolitik und Interessen von großen Mächten nur anhand von Personen zu beurteilen. Auch bei Putin geht es um die Interessen Russlands. Wenn es Putin plötzlich nicht mehr gäbe, würde das nichts automatisch zum Besseren verändern und nichts wäre plötzlich wie von selbst gelöst. 

Europäische Demokratien funktionieren 

Die EU-Wahl, aber auch Wahlen in vielen Ländern Europas bringen fast durchwegs Stimmenzuwächse für Parteien im ideologisch rechten Spektrum und einen Vormarsch von Rechtspopulismus. Wird das die westlich geprägte liberale Demokratie und den Rechtsstaat gefährden?

Klaus Wölfer: Ich sehe das weniger dramatisch. Es sind durchwegs demokratische Länder mit freien Wahlen. Oder auch in der Türkei, an der autokratische Züge stark kritisiert werden, gibt es freie Wahlen, bei denen zuletzt alle wesentlichen Großstädte ins Lager der Opposition gewandert sind. Wir sehen, dass sich in einer Demokratie alles schnell verändern kann, auch etwa in Ungarn, wo ein neuer Oppositionsführer vor kurzem großen Zuspruch erhielt. Im Großen und Ganzen funktionieren die Demokratien in der EU und in den Ländern des Europarates.

Sie haben einmal geschrieben, dass „Österreich über den Credos der Innenpolitik nicht seine außen- und wirtschaftspolitischen Interessen vernachlässigen darf“. Was vermissen Sie an der österreichischen Außenpolitik?

Klaus Wölfer: Wir haben eine sehr gute Tradition, die von allen wesentlichen politischen Kräften getragen worden ist. Der österreichische UNO-Generalsekretär Waldheim personifizierte unser internationales Engagement und davor, in den Siebzigerjahren, hatten wir unter Bundeskanzler Bruno Kreisky Wien erfolgreich als UNO-Stadt etabliert. Neutralitätspolitik kann Konflikte entschärfen: Je früher man Fäden knüpft, umso eher gibt es einen Tag nach dem Krieg. Wien ist Sitz der OSZE und bemüht sich weiterhin, als Begegnungsort für alle offen zu bleiben. Leider ist die Diplomatie weltweit aus der Mode gekommen. Hochrüsten und Krieg sind angesagt. Man glaubt, alles nur mit militärischen Mitteln erreichen zu können. Ich habe zu viel erlebt, um dies einfach hinzunehmen. Für mich ist Krieg das absolut Schlechteste. Was jetzt in der Ukraine passiert, ist abgesehen von den vielen Toten jeden Tag die Vernichtung und Verminung von Teilen des Landes auf Jahrzehnte. Da türmt sich ein Schaden auf den anderen. Ich sehe wenig Sinn darin, nur auf einen ungewissen militärischen Sieg zu setzen.  

Bleibt also nur: Verhandeln… 

Klaus Wölfer: Wenn irgend möglich: Ja!

 

Klaus Wölfer sitzt lächelnd vor einer bemalten Wand. Er trägt ein weißes Hemd und ein dunkelblaues Sakko mit einem feinen Muster. Die Wand im Hintergrund zeigt ein Gemälde mit einem Paar grau-weißer Beine in einem traditionellen Kostüm.
Klaus Wölfer

Klaus Wölfer bezeichnet sich selbst als „Oberwarter mit globalem Radar“. Der Ex-Botschafter ist profilierter Spezialist für Südosteuropa und Südostasien. Er war 40 Jahre mit Außen- und Kulturpolitik befasst, unter anderem als Botschafter Österreichs in der Türkei, Indonesien und Singapur. In Rom leitete er das Österreichische Kulturinstitut, danach die Kunstsektion im Bundeskanzleramt.. Im Außenministerium war er u.a. als Politischer Direktor und Sonderbeauftragter für „Südosteuropa und EU-Erweiterung“ tätig. Derzeit ist er u.a. aktiv in dem von Erhard Busek gegründeten „Institut für den Donauraum und Mitteleuropa“. 

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Der prima! Podcast

Walter Reiss im Gespräch mit dem Diplomaten Klaus Wölfer.

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