Eva Maria KAMPER / 27. Dezember 2024
© Sepp Werderits
552.000 Höhenmeter hat Sepp Werderits schon auf Kletterrouten verbracht. Am meisten davon in seinen geliebten Dolomiten in Oberitalien.
„Wie lange haben wir Zeit?“, lacht Sepp Werderits zu Beginn des Interviews, „ich könnte Ihnen drei Tage lang über das Klettern erzählen.“ Und schon befinden wir uns gedanklich in den Dolomiten Oberitaliens, mit Schlafsack, 16 Liter Wasser und weiterem Proviant im Gepäck, um eine drei Tages Klettertour zu meistern. Der gesamte Körper ständig auf Anspannung, kämpft man sich Griff für Griff und Tritt für Tritt immer höher auf der schier unendlich scheinenden senkrechten Felswand hinauf. Das Leben buchstäblich am dünnen Seil hängend, denn oberhalb ist der Überhang und unterhalb gibt’s nur den Abgrund. Wenn die Nacht kommt, findet man bestenfalls eine Nische, wo man sich gefahrlos in den Schlafsack legen kann, nicht selten wird aufrecht am Seil gesichert „geschlafen“. Doch alle Strapaz wird belohnt: „Oben angekommen ist das Gefühl der puren Euphorie wie ein Rausch, wie eine Unbesiegbarkeit“, sagt Sepp Werderits.
Mannschaftssport
„Bereits im Alter von 20 Jahren bin ich während meines Studiums in Graz zum Klettern gekommen, ich habe meine ersten Versuche im Hochschwabgebiet unternommen und war sofort von diesem Sport fasziniert“, schildert der berufliche Mathematiker und gebürtige Hannersdorfer Sepp Werderits. Als er in die Jungmannschaft des Alpenvereins aufgenommen wird, lernt er viele langjährige, treue Wegbegleiter kennen. Der Atem beginnt zu stocken, wenn er die Anzahl der Namen nennt, die im Zuge dieses Hobbys bereits tödlich verunglückt sind oder schwere Verletzungen davongetragen haben. Das alpine Klettern stelle eine große Herausforderung dar, jede kleine Fortbewegung müsse mit glasklarem Geist vorab analysiert und durchgeführt werden. „Stürzen ist nicht erlaubt, fertig“, fasst Sepp Werderits zusammen. Auch wenn Alleingänge durchaus durchgeführt werden, ist das Klettern definitiv ein Sport, der als Gruppe lebt.
Die Welt beklettert
Seine 552.000 Höhenmeter – und über alle per Statistik Buch geführt – sind eine Erfolgsbilanz, die aus der halben Welt stammen. „Das westlichste Ziel war Kalifornien und das östlichste Thailand, natürlich bin ich auch etliche Male in Kroatien oder Österreich, zum Beispiel am Schneeberg, auf der Rax oder am Dachstein gewesen, aber meine große Kletterliebe gilt den Dolomiten“, schildert der 72-jährige Extremsportler. Die 101. Tour habe er bereits in den malerischen oberitalienischen Bergen erlebt, was ihm sichtbar unbeschreibliche Erinnerungen ins Gedächtnis ruft, auf die er sehr stolz sein kann. Sportliches Highlight dieser außergewöhnlichen Kletterkarriere war 1979 eine Begehung der „Nose“ am El Capitan im kalifornischen Yosemite. „Die auch heute noch sehr populäre ‚Nose‘ galt damals als eine der bedeutendsten Kletterrouten weltweit“, erzählt er.
Kraftakt der Königsdisziplin
Damit man eine körperliche Leistung wie tagelanges Klettern bewerkstelligen kann, ist einiges an Grundvoraussetzung nötig. „Wenn man Sportkletterer oder alpine Kletterer betrachtet, sieht man schon, dass der BMI, also der Body Mass Index, enorm niedrig ist. Geringes Eigengewicht, hohe Beweglichkeit und zahlreiche, harte Trainingseinheiten seien schon wesentlich, um sich in dieser Sportart einen Namen zu machen. Zu diesem Zweck besitzt Sepp Werderits auch einen eigenen Trainingskletterbereich in seinem Haus in Hannersdorf. Und auch die mentale Kraftleistung müsse vorhanden sein, plötzliche Höhenangst oder gar Panik in einer glimpflichen Situation könne schlimmstenfalls mit dem Leben bezahlt werden. Das Schöne sei aber, dass mit dem regelmäßigen Klettern die nötige Kraft und die psychische Stärke einhergehen, bestätigt Sepp Werderits: „Auch wenn man mit zunehmendem Alter natürlich vorsichtiger wird.“ Eine Grundnervosität, auch aus Angst und Respekt vor dem Vorhaben, sei ein ständiger Begleiter, der in dieser Sportart unerlässlich ist: „Sonst wäre ich schon tot“, gesteht er. Eine andere Begleiterscheinung neben starken Schultern sei auch die Hornhaut auf seinen Fingerspitzen: „Den Fingerprint am Smartphone kann ich nicht benutzen“, lacht Sepp Werderits.
Grundausstattung
Sepp Werderits ist sehr gastfreundlich, wenn er vom Klettern spricht: „Kommen Sie mal mit und wir klettern gemeinsam.“ Man spürt, dass er diese Faszination seinerseits weitergeben möchte, und die Schönheit der Chance vermitteln will, über seine Grenzen hinauszugehen, wohlgemerkt im sicheren Rahmen. „Ich war im Genuss, immer gute Lehrmeister gehabt zu haben, in allen Facetten meines Lebens“, sagt er dankbar. Diesen Spirit werde der nimmermüde Pensionist auch so weitergeben. An ein Aufhören ist trotz fortschreitendem Alter nicht zu denken. Für die Grundausstattung müsse man schon ein bisschen was investieren, so seien ein passender Kletter-Hüftgurt nötig sowie ein Helm und diverse mobile Sicherheitssysteme oder Karabiner, und optional auch ein eigenes Seil. Dabei sei als Einsteiger von 500-700 Euro die Rede. Und glücklicherweise habe sich in seiner über 50-jährigen Klettererfahrung einiges in Sachen intelligenter Sicherheitsmechanismen getan, was dieses Hobby umso attraktiver macht. So sei‘s drum, Helm auf, Gurt an und hoch hinaus. Mit Kopf, Geist und Kraft. Mut kann man eben nicht kaufen.
Extremsportler Sepp Werderits ist auch mit 72 Jahren in den Bergen unterwegs. Seine Erfahrungen gibt der leidenschaftliche Kletterer gerne mit Rat und Tat weiter.
Das Hobby ist faszinierend, aber auch sehr gefährlich. Ein falscher Tritt kann über Leben und Tod entscheiden. Konzentration und Respekt vor dem Vorhaben sind Pflicht.
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