Nicole MÜHL / 27. März 2025
© Nicole Mühl
stehend v.l.: Needa Khalil, Majed Kabbani und Hajar Shanoory. vorne v.l.: Reda Alkhatib, evang. Pfarrerin und Rektorin der Diakonie Burgenland Mag. Sieglinde Pfänder mit ihrem Hund Baloo und Janwb Al Farawan. Die Arbeit im Pflegebereich ist für die ehemals Geflüchteten eine Chance auf eine wirtschaftliche Perspektive. Sie ist außerdem ein Beispiel gelebter Vielfalt in der Diakonie. „Wer in seinem Leben nach einer sinnerfüllenden Tätigkeit sucht, kann hier einen Hafen finden“, weiß Pfänder.
Es ist ein gewöhnlicher Morgen in Oberschützen, aber für Reda beginnt ein neuer Tag voller Begegnungen. Ihr Weg führt sie in die unterschiedlichsten Häuser, zu den unterschiedlichsten Menschen. Reda, die vor acht Jahren aus Syrien nach Österreich kam, ist heute Heimhelferin der Diakonie. Ihr Leben ist geprägt von Umbrüchen, aber auch von einem unerschütterlichen Willen, neu anzufangen.
In Syrien war Reda Kunstlehrerin. Sie lebte in einem eigenen Haus, mit ihrem Mann und den vier Kindern. Der Krieg riss sie aus diesem Leben. Drei Jahre wartete sie in der Türkei, in der Hoffnung, dass der Konflikt endete. Doch als diese Hoffnung schwand, suchte die Familie eine neue Zukunftsperspektive in Europa. In Österreich begann für Reda alles von vorne. „Ich musste alles neu lernen: die Sprache, das System, die Menschen.“ Über das AMS erfuhr sie vom Pflegeberuf. Eine Freundin erzählte ihr von den Chancen in der Pflege – die hat sie bei der Diakonie ergriffen. „Österreich ist unsere Heimat, besonders für meine Kinder.“ Ihr Mann arbeitet ebenfalls bei der Diakonie, ihre Kinder haben Ausbildungen abgeschlossen. Die Familie hat hier ein neues Zuhause aufgebaut – mit Mut und harter Arbeit. Die Arbeit mit den Menschen macht ihr unheimlich viel Freude. 30 Stunden ist sie tätig, aber Reda ist eine, die jederzeit einspringt, wenn eine Kollegin oder ein Kollege nicht zur Arbeit kommen kann.
Pfarrerin Sieglinde Pfänder begleitet viele dieser Lebenswege. „Die Diakonie ist wie ein Hafen. Menschen können ankommen und bleiben. Es ist egal, ob jemand ein Kopftuch trägt oder nicht. Was zählt, ist der Mensch.“ Die religiöse Zugehörigkeit eines Menschen ist für die Diakonie kein Grund, ihn auszugrenzen. Wer sich integrieren will, ist willkommen. Die Lebenshaltungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bunt und vielfältig, sagt sie. Die Diakonie sei eine Lerngemeinschaft, denn „wir lernen alle voneinander“, betont die evangelische Pfarrerin. Wer hier andockt und Arbeit finden möchte, dem versucht die Pfarrerin zu helfen. „Ich empfehle jeder und jedem, der eine sichere Arbeit sucht, ein Praktikum im Pflegebereich zu machen. Oft wissen Menschen schon am ersten Tag, ob die Arbeit für sie passt. Pflege ist intensive Beziehungsarbeit und damit ein sinnstiftender und sinnvoller Beruf. Man kann schnell mit einer kurzen Ausbildung beginnen. Sprachbarrieren sind kein Hindernis, denn Pflege ist eine Arbeit des Herzens.“ Das weiß auch Needa.
Trauma und Neuanfang
Needa war mit ihrem jüngsten Sohn in ihrem Haus in Syrien, als eine Rakete einschlug. Ihr Kind überlebte, ist aber seitdem auf einem Auge blind und hat eine Gehbehinderung. Die Familie floh nach Jordanien, doch auch dort gab es keine ausreichende medizinische Versorgung. Schließlich fanden sie in Österreich Zuflucht. Heute arbeitet Needa im Demenzzentrum der Diakonie in Oberwart. Ihr Mann motivierte sie, diesen Schritt zu gehen. „Er sagte: ‚Du kannst mehr, als du glaubst.‘“ Needa war mutig und trotz anfänglicher Sprachbarrieren absolvierte sie die Ausbildung zur Heimhelferin. Inzwischen ist sie auch im Bereich der palliativen Geriatrie geschult und die Menschen im Demenzzentrum sind für sie wie eine zweite Familie. Auch wenn sie inzwischen sehr gut Deutsch spricht, sagt sie, dass man immer weiterlernen müsse. „Übung macht den Meister“, sagt sie lachend. Aber sie räumt auch ein, dass gerade bei der Arbeit in der Pflege Berührungen und Blicke eine ebenso wertvolle Verständigung seien. Eine Bewohnerin warte jeden Tag auf sie. „Wir kochen und essen immer zusammen. An meinem ersten Arbeitstag nach einem neuntägigen Urlaub hat sie mir gesagt, dass ich nie mehr so lange wegbleiben darf“, sagt Needa. Beziehungsarbeit basiere eben auf mehr als nur auf Worten.
Im zweiten Anlauf
Auch Janwb kommt aus Syrien. Sie war Schneiderin, führte ein einfaches Leben, bis der Krieg sie zwang, alles zurückzulassen. Ihr Mann und ihr ältester Sohn flohen zuerst, sie folgte später mit den jüngeren Kindern. „Als Mutter macht man sich ständig Sorgen, ob die Kinder sicher sind.“ Mit ihrer dreijährigen Tochter lernte sie die neue Sprache. „Zu Hause redeten wir anfangs nur Deutsch, damit die Kinder es schneller lernen – und auch mein Mann und ich“, fügt sie lächelnd hinzu. Ihre jüngste Tochter spricht kaum Arabisch, was für Janwb kein Problem ist. „Sprache ist ein Werkzeug, aber nicht das Einzige, das uns definiert.“
Janwb begann zunächst eine Ausbildung zur Heimhilfe, brach sie jedoch ab. „Es war zu emotional. In Syrien bleiben alte Menschen in der Familie. Ich habe es anfangs nicht verstanden, warum sie hier in einem Heim leben, wo sie doch Kinder haben. Das hat mich traurig gemacht.“ Sie wechselte deshalb in die Reinigung, doch der Wunsch, direkt mit Menschen zu arbeiten, ist geblieben. „Jetzt bin ich bereit. Ich will es noch einmal versuchen“, sagt sie entschlossen. Der Drang, sich weiterzubilden, zu lernen, besser zu werden, um sich in Österreich etwas aufzubauen, ist bei allen vorhanden. Eine, die sich selbst immer wieder antreibt, ist Hajar.
Ein guter Tag ist …
Hajar Shanooy hat zuerst die Ausbildung zur Heizungstechnikerin absolviert. Wohlgefühlt hat sie sich in dem Job nicht. Wie alle anderen hat sie ehrenamtlich in der Diakonie gearbeitet und gemerkt, wie viel Freude ihr die Arbeit mit Menschen macht. Über das BFI ließ sie sich schließlich zur Pflegeassistentin ausbilden. Ein guter Tag ist für sie, wenn sie am Abend weiß, dass sie ihr Bestes gegeben hat. Ihr Ziel ist, das Studium zur Gesundheitspflegerin an der Hochschule Burgenland zu absolvieren. Gemeinsam mit ihrem Mann möchte sie in Österreich für sich und ihre beiden Kinder eine gute Zukunft aufbauen. Zurück nach Afghanistan will sie nicht mehr. Sie will Teil dieser Gesellschaft sein. „Und sie alle sind es. Ein wertvoller Teil“, betont Sieglinde Pfänder.
Karriere in der Pflege
Einer, der auch geblieben ist, ist Majed Kabbani. Er kam 2015 mit seinen Eltern und seinem Bruder nach Österreich und wollte eigentlich – wie bereits in Syrien– im SOS Kinderdorf arbeiten. Nach einem Praktikum im Diakoniezentrum in Oberwart hat er sofort gewusst, dass er hier richtig ist. Derzeit ist er in Bildungskarenz, da er die Ausbildung zum Diplomkrankenpfleger absolviert. „Aber im Herzen bin ich immer im Pflegeheim und freue mich, wenn ich nach meiner Ausbildung wieder dort sein darf“, sagt er. In der Pflege zu arbeiten sei kein Beruf, sondern eine Berufung. Vorurteile habe er nie gespürt. Nur einmal habe eine Bewohnerin extrem über Ausländer geschimpft. Als er ihr sagte, dass er ja auch einer sei, hat sie gemeint, dass das bei ihm etwas ganz anderes sei. „Das ist doch immer so. Die Menschen haben Vorurteile, bis sie den anderen kennenlernen. Dann ändert sich meist alles“, sagt Majed in seinem burgenländischen Dialekt. „Er ist ein gelebtes Beispiel dafür, welche Karrierechancen in der Pflege möglich sind. Jemand kann als Heimhilfe starten und sich bis in den gehobenen Dienst weiterbilden“, erklärt Sieglinde Pfänder. „Aber bereits mit einer kurzen Ausbildung ist ein Job im Pflegebereich möglich und somit sind ein sicheres Einkommen und ein gesicherter Arbeitsplatz garantiert“, so Pfänder.
Gelebte Vielfalt
In der Diakonie zählen nicht die Herkunft, die Sprache oder die religiöse Zugehörigkeit. „Es geht um den Menschen“, sagt Sieglinde Pfänder. Die Geschichten von Reda, Janwb, Needa, Hajar und Majed zeigen, wie Integration gelingen kann, wenn Mut, Unterstützung und die Bereitschaft, neu zu beginnen, zusammenkommen. Sie zeigen aber auch, welche Chancen der Pflegebereich bietet. Beruflich und in der persönlichen Entwicklung.
Kulturunterschiede müssen nicht immer ein Problem darstellen, weiß Needa. „Auch dass ich ein Kopftuch trage, macht für die Menschen in der Diakonie keinen Unterschied.“ Einige Bewohnerinnen tragen ja auch eines, lacht sie. Nur eben vorne zusammengebunden, wie es im Burgenland gerade bei der älteren Generation oft der Brauch war. „Mit einer Bewohnerin habe ich einmal Kopftuch getauscht. Das war lustig“, erzählt Needa lachend. Denn im Grunde sei das, was uns Menschen unterscheidet, oft nur oberflächlich – „aus der richtigen Perspektive erkennen wir, dass uns viel mehr verbindet, als uns trennt.“

Needa musste aus ihrer Heimat Syrien fliehen und arbeitet heute im Demenz(im)Zentrum in Oberwart. Dass sie ein Kopftuch trägt, ist dort kein Thema. „Warum denn auch“, sagt sie lachend, „viele der Bewohner:innen tragen auch eines.“ Sie sieht immer das Verbindende und nie das Trennende.
Foto:zg

Hajar kommt aus Afghanistan und hat bereits die Ausbildung zur Pflegeassistentin absolviert. Sie ist besonders ehrgeizig und will nun an der Hochschule Burgenland weiterstudieren.
Foto:zVg

Janwb ist eine wertvolle Fachkraft in der Reinigung. Die Arbeit macht ihr Freude, dennoch will sie nun die Ausbildung zur Heimhilfe absolvieren und direkt mit Menschen arbeiten.
Foto:zVg

Majed wollte immer mit Menschen arbeiten. Nachdem er im Diakoniezentrum ein Praktikum absolvierte, wusste er, dass er hier richtig ist. Er liebt seinen Beruf und kann sich keinen anderen mehr vorstellen.
Schreibe einen Kommentar