Chiara PIELER / 27. März 2025
© Chiara Pieler
Bürgermeister Georg Rosner (l.) und Vertreter der Wirtschaftskammer gratulierten Firmeninhaber Dieter Reischitz (2.v.l) zu diesem besonderen Jubiläum.
Wenn ich normalerweise von einem Interview für eine Reportage nach Hause fahre, begleitet mich Musik. Dieses Mal ist es anders. Der Motor summt leise, aber sonst bleibt es still im Auto. Meine Hände schmerzen, meine Beine auch. Das Erlebnis wirkt nach – ungefiltert. Jede Bordsteinkante, jeder Widerstand auf den Pflastersteinen, jede Rampe.
Als Robert Narnhofer mir sagt, dass ich mich in einen Rollstuhl setzen soll, um die Innenstadt aus seiner Perspektive zu erleben, habe ich eine ungefähre Vorstellung davon, wie es sein würde. Doch die ersten Meter belehren mich eines Besseren. Jede Bewegung zwingt zum Kraftaufwand. Kopfsteinpflaster wird zu einem Hindernis, das sich auf den ganzen Körper überträgt. Narnhofer bewegt sich schnell und routiniert. Jeder Handgriff sitzt. Während ich noch versuche, den Rollstuhl vorwärts zu bewegen, erzählt er von seinem Alltag.
„Viele denken, eine Rampe reicht“, sagt er, und deutet auf barrierefreie Lokale. „Aber was ist mit Parkplätzen, Toiletten, Gehsteigkanten? Das Problem haben wir nicht nur hier – in jeder Stadt gibt es Stellen, an denen man merkt, dass nicht für alle mitgedacht wurde.“ Robert Narnhofer lacht oft. Er erzählt von Touren mit dem Handbike, von seinen Vorträgen in Schulen, von Motorrad-Touren. „Das Leben ist zu wertvoll, um sich zu verstecken“, sagt er. Vor mehr als 30 Jahren war er selbst noch Motorradfahrer – bis zu jenem Unfall, der ihn querschnittsgelähmt zurückließ. „Am Anfang habe ich nur gedacht: Wie soll das gehen?“ Heute ist ihm die Antwort klar: Es geht – mit Kraft, Humor und einem Netzwerk, in dem man sich gegenseitig unterstützt.
Die Behinderten-Selbsthilfe-Gruppe Hartberg (BSGH) kämpft für Barrierefreiheit und bietet Menschen mit Behinderung eine Gemeinschaft. Sie stellen selbstgemachte Produkte her, testen barrierefreie Urlaubsziele und setzen sich für eine Infrastruktur ein, die nicht an Stufen oder schmalen Türen scheitert. „Man muss den Alltag verstehen.“ Und der Alltag hat seine Hürden. Allein das Anziehen kann eine halbe Stunde dauern. Der Weg durch eine Innenstadt? Ein ständiges Manövrieren. Pflastersteine bremsen aus, abgesenkte Bordsteine sind zu hoch oder zu schmal. „Du lernst, Tricks zu nutzen“, erklärt Narnhofer. „Aber manchmal fragst du dich: Warum muss es überhaupt so schwer sein?“
Mobilität – und was dazugehört
Wenn Robert Narnhofer ins Auto steigt, braucht er keine Hilfe. Mit einer geübten Bewegung setzt er sich auf den Fahrersitz, ein Knopfdruck, und der Rollstuhl wird automatisch in den Kofferraum gehoben. Von außen sieht der Kombi aus wie jeder andere. Erst im Inneren zeigt sich die Anpassung: Ein spezieller Handhebel ersetzt die Pedale. Ein sanfter Druck nach vorn bedeutet Bremsen, ein Zug nach hinten gibt Gas. „Mobilität ist alles. Ohne Auto wäre ich aufgeschmissen“, sagt er, während er den Wagen mit seinen Händen steuert. Tanken? Oft eine Herausforderung. Nicht jede Zapfsäule ist zugänglich, oft muss er um Hilfe bitten. „Manche helfen gern, andere schauen nur zu oder verstehen das Problem nicht.“ Selbst Parkautomaten können zum Hindernis werden: zu hoch, zu weit weg, nicht erreichbar. „Es gibt so viele Kleinigkeiten, an die nicht gedacht wird.“
Seine Wohnung musste von Grund auf barrierefrei gemacht werden. Türen verbreitert, das Badezimmer angepasst. „Früher wusste ich nicht, was das bedeutet – jetzt weiß ich es genau.“ Aber nicht alles ist planbar: „Koch mal, wenn du den heißen Topf nicht sicher von der Herdplatte auf den Tisch bekommst.“ Improvisation ist Teil seines Alltags im Rollstuhl. Mobilität bedeutet Unabhängigkeit – und die fängt nicht erst beim Auto an. Wer nicht in eine Arztpraxis kommt, weil die Tür zu schmal ist, wer in einem Lokal nach einem barrierefreien WC fragt und hört, dass es keines gibt, der merkt schnell, dass „barrierefrei“ oft nur ein Wort ist.
Sport und Gemeinschaft
Dass Bewegung im Rollstuhl genauso selbstverständlich ist wie Gehen, zeigt sich in Narnhofers Alltag. Er fährt Handbike, geht Langlaufen mit einem speziellen Schlitten, macht Tandemparagleiten. Die BSGH organisiert diese speziellen Ausflüge und Veranstaltungen, sorgt für den Austausch. Auch ein mittlerweile riesengroßes Motorrad- und Motorsportevent, das jährlich stattfindet, gehört dazu: Menschen mit Behinderung können als Beifahrer:innen mitfahren. „Die meisten glauben zuerst nicht, dass das überhaupt geht. Aber es geht. Und es gibt ihnen unglaublich viel zurück.“
Einmal im Monat fährt er außerdem mit einer Gruppe von Rollstuhlfahrer:innen und Fußgänger:innen um den Stubenbergsee – ein fixer Treffpunkt für Austausch und Bewegung. Dann sind da noch die anderen Seiten seines Lebens, über die Narnhofer mit einem Lächeln erzählt. Die Momente, in denen er mit Schulklassen spricht, Jugendlichen zeigt, wie es ist, im Rollstuhl durch eine Stadt zu fahren. „Viele zögern zuerst. Dann probieren sie es selbst – und merken, dass es Ungeübten sehr schwerfallen kann.“ Er erzählt von einem Jungen, der nach zehn Minuten aufgab, weil ihm die Arme schmerzten. „Das sind die Aha-Momente.“
Nach der Tour durch die Stadt lenkt Robert Narnhofer den Rollstuhl an den Rand des Gehsteigs, stoppt kurz. Die Bordsteinkante ist nicht hoch, aber eine Hürde bleibt sie dennoch. Er dreht sich leicht zur Seite, schätzt die beste Position ein. „Viele glauben, sie müssten jetzt einfach zugreifen und helfen“, sagt er, ohne aufzublicken. „Aber das hier“ – er klopft mit der Hand auf das Rad – „ist mein Fortbewegungsmittel. So, wie andere sich mit den Beinen fortbewegen. Niemand würde einfach so nach den Beinen eines anderen greifen.“ Dann hebt er den Blick. „Wenn jemand mir ungefragt hilft und falsch drückt oder zieht, kann es passieren, dass ich das Gleichgewicht verliere – und dann liege ich auf der Straße.“ Es geht nicht um Stolz, sondern um Kontrolle. Um Sicherheit. „Natürlich nehme ich Hilfe an. Aber erst, wenn wir darüber gesprochen haben.“ Er gibt sich einen kurzen Ruck, kippt den Rollstuhl leicht nach hinten und rollt über die Kante. Die Bewegung ist fließend. Nicht das Hindernis ist das Problem – sondern, ob andere verstehen, wie sie richtig damit umgehen.

Stv. Obmann der BSGH – Robert Narnhofer
Das Büro der BSGH schmücken Bilder von zahlreichen Ausflügen und Projekten der letzten Jahre – bsgh.at








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