Sexualbegleitung: Berühr mich, bitte!

Lialin zeigt ihren „Deckel“, jene grüne Kontrollkarte, die sie als behördlich registrierte Prostituierte ausweist. Alle sechs Wochen muss sie einen Abstrich machen lassen, um das „Freisein von Geschlechtskrankheiten“ zu gewährleisten. Bei jedem zweiten Termin, also alle drei Monate, ist ein Bluttest auf HIV und Syphilis verpflichtend. Dabei hat Lisa Hörner,
wie Lialin mit bürgerlichem Namen heißt, weder Oralkontakt noch Geschlechtsverkehr mit ihren Kunden und Kundinnen.

Nicole MATSCH / 27. Feber 2025

Intimität braucht manchmal Unterstützung.

Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung

Die Steirerin Lisa Hörner bietet Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung, Menschen mit altersbedingten Einschränkungen und Sterbende an. Sie ermöglicht ihnen Nähe zu erleben, Berührungen zu lernen und ihre Erregung zu erkunden.
„Ich bin ausgebildete Sexualbegleiterin. Das bedeutet, ich gestalte eine sinnlich-erotische Begegnung gemeinsam mit meinem Kunden oder meiner Kundin. Dem Gesetz nach bin ich eine Prostituierte“, erklärt Hörner, die eigentlich Biologin ist und in der Abfallwirtschaft tätig war. Eine Stunde, die gemeinsam gestaltet wird, kostet bei ihr 140 Euro.
„Es geht vom angezogen Tanzen und Händchen halten über Umarmen und Kuscheln bis zum Petting, bei dem wir nackt nebeneinander liegen. Das alles ist mit mir möglich. Weiter gehe ich nicht“, so Hörner über ihre persönliche Grenze, keinen Oral- und Geschlechtsverkehr anzubieten – eine Grenze, die nicht für alle Sexualbegleiter:innen gilt.

(K)ein Hauch von Rotlicht

Die Gesellschaft sei noch immer nicht so weit, Menschen mit körperlicher, kognitiver oder psychischer Beeinträchtigung ganz normal zu behandeln, bedauert Hörner. So bleiben sexuelle Bedürfnisse oft unerfüllt. „In der Sexualbegleitung zeige ich meinen Kunden, wie man einander begegnet. Das ist eigentlich ein Thema für alle Menschen“, sagt sie. Laufhäuser seien für viele ihrer Kunden keine Option, da man dort genau wissen müsse, was man möchte, obwohl man es selbst noch nicht weiß. Hier setzt die Sexualbegleitung an: Sie ermöglicht diesen Menschen, ihre Sexualität in einem geschützten Rahmen zu erleben. Mit der Vorstellung vom traditionellen Rotlichtmilieu hat sie aber wenig zu tun. Sexualbegleiter:innen unterscheiden sich von klassischen Sexarbeiter:innen vor allem durch ihre spezialisierte Zielgruppe und ihren ganzheitlichen Ansatz. Viele von ihnen haben eine spezielle Ausbildung, wie Lisa Hörner. Die Bezahlung erfolgt nach miteinander verbrachter Zeit statt nach spezifischen Praktiken. Ob Geschlechtsverkehr im Sinne von Penetration Teil der Begleitung ist, entscheidet jede:r Sexualbegleiter:in selbst.

Zwei Hände bei einer Handmassage, Nahaufnahme. Wellness-Behandlung und Entspannung zuhause.
LIBIDA © Johannes Seidl
Gemeinsam Nähe erfahren

Achtsame Berührungen fördern das gegenseitige Vertrauen.

Von der Grauzone in die Prostitution

„Als ich anfing, gab es keine rechtliche Basis für unsere Arbeit“, sagt Lisa Hörner, die 2012 den LIBIDA-Lehrgang zur Sexualbegleiterin absolvierte. Dieser wurde damals von der spezialisierten Fachstelle .hautnah. angeboten, um die Dienstleistung qualitativ von der klassischen Sexarbeit abzugrenzen. In Österreich gab und gibt es nur wenige Beratungsstellen, die Ausbildungen* und Weiterbildungen zur Sexualbegleitung anbieten, gesetzlich verpflichtend sind sie jedoch nicht.
Als die Dienstleistung 2017 unter das Prostitutionsgesetz fiel, hätten sich alle Sexualbegleiter:innen als Sexarbeiter:innen registrieren lassen müssen. Nach zwei Jahren Schockpause – wie sie es nennt – hat Hörner das schließlich 2019 getan. 2020 übernahm sie die Marke LIBIDA unter ihrem Pseudonym Lialin und schrieb während der Corona-Zeit gemeinsam mit Johannes Seidl das Buch „Achtsam berühren“ (erschienen im Eigenverlag) über ihre Arbeit. Mit dem Fokus Qualitätssicherung durch Fortbildung, Supervisionen und Gesundheitsstandards hat sie mittlerweile selbst weitere Sexualbegleiter:innen ausgebildet, die unter der Marke LIBIDA arbeiten. Es ist ihr wichtig zu betonen, dass diese selbstständig erwerbstätig sind, da sie jede andere Form der Zusammenarbeit schnell an den Tatbestand der Zuhälterei heranführen könnte, die in Österreich laut § 216 STGB verboten ist.

„Sex macht Spaß, und so soll es auch sein!“

Eine Sexualbegleiterin ist weder Freundin noch Therapeutin, zumindest will und kann Lialin das nicht sein. „Es geht darum, gemeinsam Freude zu erleben. Sex macht Spaß, und so soll es auch sein“, sagt sie. In Österreich wird Sexualbegleitung nicht von der Krankenkasse übernommen. Eine Förderung aus dem Sozialtopf entspräche auch nicht Lisa Hörners Grundsatz. „Ich ‚helfe‘ nicht – meine Begegnungen sind stets auf Augenhöhe. Ich treffe junge Männer, die erste Erfahrungen sammeln möchten, Frauen, die mehr über ihren Körper lernen wollen oder ältere Männer, die Nähe suchen. 90 % meiner Kunden sind männlich, 10 % sind Frauen und Paare.“ Wem Lialin „begegnet“, macht für sie keinen Unterschied, was sie aber zugibt ist, dass die Begleitung im Palliativbereich sie emotional besonders belastet. „Das grenzt manchmal an Sterbebegleitung“, beschreibt sie ihre Erfahrungen mit Menschen, die durch sie am Ende ihres Lebens noch einmal körperliche Nähe erfahren.

Ein Gespräch zum Kennenlernen ist bei Lialin Bedingung vor jeder ersten Begegnung, auch um sich rechtlich abzusichern. Sie muss wissen, ob der Wunsch zur Sexualbegleitung tatsächlich vom Kunden oder von der Kundin ausgeht und nicht einfach die – wenn auch gut gemeinte – Idee von Betreuungspersonen ist. Manchmal wollen auch Menschen ohne Behinderung, die sich schwer mit ihrer Sexualität tun, Lialins Dienste in Anspruch nehmen. „Das ist auch in Ordnung. Wenn ich aber beim Vorgespräch merke, dass jemand einen extremen Fetisch hat, sehe ich mich nicht in der Verantwortung, diesen zu befriedigen. In solchen Fällen empfehle ich, eine klassische Prostituierte aufzusuchen.“

Frau sitzt lächelnd mit ausgebreiteten Armen auf rotem Sofa vor gemustertem Hintergrund, posiert entspannt und glücklich.
LIBIDA © Johannes Seidl
Lialin von LIBIDA.Sexualbegleitung ®

Lialin ist Sexualbegleiterin in der Steiermark. Sie ermöglicht Menschen mit Behinderung oder altersbedingten Einschränkungen Nähe zu erleben, Berührungen zu lernen und ihre Erregung zu erkunden.

Ist alles geklärt, geht es zur Sache. Lialin besucht ihre Kunden zu Hause oder in Pflegeeinrichtungen, was in der Steiermark erlaubt ist. Hygiene und Sauberkeit sind ihr wichtig – sowohl bei sich selbst als auch beim Kunden. Jede Begegnung läuft individuell ab, beide Seiten können dabei jederzeit ‚Stopp‘ sagen. Lialin hilft ihren Kunden beim Ausziehen oder unterstützt Paare dabei, sich gegenseitig auszuziehen. Auch sie selbst zieht sich aus. Manchmal ganz, manchmal bis auf die Unterwäsche. Sie bringt Unerfahrenen bei, wie man flirtet. Es kommt vor, dass sie jemandem eine Stunde lang nur die Hand hält oder sie ihm auf den Bauch legt, damit er sie spürt. Einen Kunden rührte es zu Tränen, als sie nur seine Lippen streichelte und ihm damit das größte Glück bescherte. Anderen zeigt Lialin, wie sie sich selbst befriedigen können, wieder andere wollen endlich wissen, wie eine nackte Frau aussieht – auch zwischen den Beinen. Frauen lernen von ihr, einen Vibrator richtig zu benutzen ohne sich zu verletzen. Paare erleben dank ihr beim Sex endlich Befriedigung.

Fehlende Aufklärung und Porno-Vorbilder

Auch Gewaltprävention ist ein zentraler Bestandteil von Hörners Arbeit. Viele ihrer Kundinnen haben nie gelernt, Grenzen zu erkennen. Das ist häufig für unerfahrene junge Frauen ohne Behinderung schon eine Herausforderung, für ihre Kundinnen aber eine noch größere.

„Es beginnt oft harmlos“, erklärt Lisa Hörner. Eine ungewohnte, aber nicht unangenehme Berührung, ein Moment der Neugier. Doch genau darin liegt die Gefahr: Zärtlichkeit und Übergriff zu verwechseln und sich plötzlich hilflos ausgeliefert zu fühlen. Deshalb möchte sie Frauen beibringen, auch in der Partnerschaft klar zu sagen: „Das mag ich, das mag ich nicht.“

Problematisch sind in diesem Zusammenhang auch falsche Vorstellungen über weibliches Lustempfinden, besonders bei Männern. Oft fehlt das Wissen über die Bedeutung des Vorspiels, während unrealistische Vorstellungen aus der Pornografie die Erwartungen verzerren. „Warum stöhnst du nicht?“ oder „Warum kommst du nicht?“ sind Sätze, die Lialin häufig hört, wenn ein Mann zum Höhepunkt gekommen ist und glaubt, auch seine Partnerin befriedigt zu haben. „Ich sage dann immer ‚Ein guter Liebhaber lässt die Frau zuerst kommen‘. Es ist ja schön, wenn er eine Erektion hat, aber sie braucht eben das Vorspiel.“ Durch Erklärung und Hilfestellung beim Geschlechtsverkehr führe sie Paare zu einem sexuellen Erlebnis, das für beide Partner erfüllend ist. „Wir machen keinen ‚flotten Dreier‘“, erklärt sie schmunzelnd, „aber beim Sex bin ich schon dabei.“ Bei manchen Paaren sei das auch deshalb nötig, weil sie aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen Unterstützung brauchen. „Ein großer Erfolg für uns ist zum Beispiel, wenn der Mann lernt, den Vibrator so zu halten, dass seine Partnerin, die es aufgrund ihrer spastischen Lähmung selbst nicht kann, Lust empfindet.“
Ein respektvoller, einfühlsamer Umgang in intimen Begegnungen will gelernt sein. „Wenn mir ein Autist erzählt, dass Zärtlichkeit das Wichtigste beim Umgang mit der Partnerin sei, bitte ich ihn mir zu zeigen, wie er das umsetzt. Wenn er dann grob wird, weil er es nicht anders kann, müssen wir darüber reden und üben, es richtig zu machen.“

Ein Mix aus Offenheit und Prüderie

Lisa Hörner hat aufgrund ihrer Tätigkeit keine Probleme in ihrem Umfeld oder innerhalb ihrer Familie. Viele bewundern sie für das, was sie tut. Bis zur Pension wolle sie diese Arbeit wahrscheinlich nicht machen, da sie sehr anstrengend sei. Dennoch wünscht sie sich eine Enttabuisierung des Themas Sexualität und Behinderung und vor allem „weniger Gegenwind“ für sich und ihre Kolleg:innen. Besonders das Verbot von Hausbesuchen in manchen Bundesländern, speziell in Pflegeeinrichtungen, erschwere die wertvolle Arbeit von Sexualbegleiter:innen. Landesweit einheitliche gesetzliche Regeln wären eine große Hilfe. Es müsse sich endlich etwas ändern. „Unsere Gesellschaft lebt in einem Mix aus Offenheit und Prüderie“, fasst Lialin zusammen.

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